Den Schlusserben beeinträchtigende Schenkungen sind angreifbar

Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass lebzeitige Schenkungen des überlebenden Ehegatten, die die Erberwartung eines Schlusserben einschränken, angefochten werden  können. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen die Schenkungen nicht durch ein anerkennenswertes Eigeninteresse des Erblassers gerechtfertigt sind. Das Urteil des OLG Hamm vom 12.09.2017 (Az.: 10 U 75/16) zeigt, welche Pflichten ein überlebender Ehegatte hinsichtlich des Nachlasses gegenüber dem im gemeinschaftlichen Testament  bestimmten Schlusserben hat. Der Schlusserbe kann diese Schenkungen zurückfordern.

Der Fall: Erbeinsetzung im gemeinschaftlichen Testament

Im vorliegenden Fall hatte ein Ehepaar in einem Berliner Testament ihren Sohn als Schlusserben eingesetzt. Der Vater lebte nach dem Tod seiner Ehefrau mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen. Der Kläger, der Sohn und Schlusserbe, verlangte nach dem Tod des Vaters von dessen Lebensgefährtin die Herausgabe verschiedener Vermögenswerte, die der Vater der Lebensgefährtin geschenkt hatte.

Hat der Erblasser in der Absicht, den Schlusserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht, so kann der Schlusserbe nach § 2287 Abs. 1 BGB von dem Beschenkten Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, nachdem ihm die Erbschaft angefallen ist.

Vereinbarung eines lebenslangen Wohnrechts

Nach dem Tod der Mutter lernte der Vater die Beklagte, seine spätere Lebensgefährtin, kennen. Sie lebten seit 2010 in einem gemeinsamen Haushalt. Der Kläger vereinbarte mit der Beklagten ein lebenslanges Wohnrecht in einer ihm gehörenden Wohnung. Bedingung war, dass die Beklagte den Vater pflegte und keine Besitzansprüche auf das gemeinsame Haus erhob.

Übertragungen an die Lebensgefährtin

Der Vater übertrug in der Folgezeit verschiedene Vermögenswerte im Wert von insgesamt rund 222.000 Euro an die Beklagte. Dazu gehörten Fondsbeteiligungen, Schuldverschreibungen und Lebensversicherungen. Zusätzlich erlangte die Beklagte durch Barabhebungen weitere 50.000 Euro. Der Kläger sah darin eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Erbansprüche und verlangte die Rückgabe dieser Vermögenswerte.

Die Klage: Rückforderung der Schenkungen

Der Kläger argumentierte, dass die Schenkungen das Erbe beeinträchtigten und rückabgewickelt werden müssten. Die Beklagte bestritt eine Benachteiligungsabsicht des Vaters. Sie behauptete, dass die Schenkungen eine Dankesgeste für ihre Pflegeleistungen waren. Die Beklagte habe den Vater intensiv betreut, quasi rund um die Uhr, seit sie bei ihm eingezogen war.

Entscheidung des OLG Hamm: Schenkungen müssen zurückgegeben werden

Das Oberlandesgericht Hamm gab dem Kläger Recht. Es stellte fest, dass die Schenkungen die Erberwartung des Schlusserben erheblich beeinträchtigt hatten. Der Vater hätte die im gemeinschaftlichen Testament festgelegte Erbeinsetzung des Sohnes beachten müssen. Die Schlusserbeneinsetzung beruhte auf einer wechselbezüglichen Verfügung der Ehegatten, an die der Überlebende nach dem Tod des zuerst verstorbenen Ehegatten gebunden war.

Keine ausreichende Rechtfertigung durch Pflegeleistungen

Das Gericht sah für die Schenkungen keine ausreichende Rechtfertigung durch ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Vaters. Zwar könne ein solches Interesse bestehen, wenn der Erblasser seine Altersvorsorge oder Pflege sicherstellen will. Die Beklagte konnte jedoch nicht schlüssig darlegen, dass die Schenkungen in Höhe von etwa 250.000 Euro im Zusammenhang mit ihren Pflegeleistungen standen. Die behaupteten Pflege- und Haushaltsleistungen rechtfertigten diese Vermögensübertragungen nicht. Zudem erhielt die Beklagte während dieser Zeit freie Kost und Logis sowie andere Vorteile, etwa gemeinsame Reisen mit dem Vater.

Benachteiligungsabsicht des Erblassers

Das OLG Hamm stellte fest, dass der Vater bei den Schenkungen auch mit Benachteiligungsabsicht handelte. Es genügte, dass der Vater wusste, dass die Schenkungen das Erbe seines Sohnes schmälerten. Für die Feststellung einer Benachteiligungsabsicht genügt es laut Gericht, dass die Beeinträchtigung des Erbes zumindest eines der Motive des Erblassers war. Es müsse nicht das einzige oder leitende Motiv sein.

Interessenabwägung: Kein anerkennenswertes Eigeninteresse

Bei der Prüfung, ob eine Benachteiligungsabsicht vorliegt, sei eine Abwägung der beteiligten Interessen erforderlich. Nur wenn ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an der Zuwendung besteht, müsse der Schlusserbe die Beeinträchtigung seiner Erberwartung hinnehmen. Ein solches Eigeninteresse lag im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Der Nachlass wurde durch die Schenkungen nahezu wertlos, während die Beklagte für die behaupteten Pflegeleistungen bereits ausreichende Gegenleistungen erhielt, wie zum Beispiel freie Kost und Logis.

Rückgabe der Vermögenswerte und Erstattung der Gelder

Das OLG Hamm verurteilte die Beklagte zur Rückgabe der erhaltenen Vermögenswerte und zur Erstattung der vereinnahmten Gelder. Die Beklagte konnte nicht plausibel darlegen, dass sie die Barabhebungen im Sinne des Vaters verwendet hatte. Damit war sie verpflichtet, die entsprechenden Beträge an den Kläger zurückzuzahlen.

Fazit von Fachanwalt für Erbrecht Mathias Nittel

Dieses Urteil des OLG Hamm verdeutlicht, welche Pflichten ein überlebender Ehegatte in Bezug auf den Nachlass hat. Gemeinschaftliche Ehegattentestamente sind bindend, und der überlebende Ehegatte darf den Nachlass nicht durch Schenkungen an Dritte vermindern, sofern kein anerkennenswertes Eigeninteresse vorliegt. Erblasser sollten sich bewusst sein, dass Schenkungen, die die Erberwartung der testamentarisch eingesetzten Erben beeinträchtigen, möglicherweise rückabgewickelt werden müssen.

Für Schlusserben ist es wichtig zu wissen, dass sie Ansprüche geltend machen können, wenn der überlebende Ehegatte den Nachlass unberechtigt schmälert. Insbesondere dann, wenn die Schenkungen ohne ausreichende Rechtfertigung erfolgt sind. Das Urteil stärkt die Position der Schlusserben und stellt sicher, dass die im Testament festgelegten Verfügungen beachtet werden.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass bei der Planung des Nachlasses und der Gestaltung von Testamenten Vorsicht geboten ist. Erblasser sollten sich darüber im Klaren sein, welche Folgen Schenkungen zu Lebzeiten haben können und ob diese später angefochten werden könnten.

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