Das Oberlandesgericht (OLG) Sachsen-Anhalt hat in seinem Urteil vom 7. März 2024 (Az.: 2 U 27/23) eine wegweisende Entscheidung zur Auskunftspflicht von Miterben getroffen, die vom Erblasser mit einer Generalvollmacht ausgestattet wurden. Die Entscheidung beleuchtet insbesondere die Reichweite der Auskunfts- und Rechenschaftspflichten nach § 666 BGB und ordnet diese in den Kontext der Erbengemeinschaft ein. Dabei wird die Frage geklärt, in welchem Umfang Miterben, die als Beauftragte des Erblassers tätig waren, gegenüber den anderen Miterben auskunftspflichtig sind.
Sachverhalt und Hintergrund
Im vorliegenden Fall stritten sich die Parteien, allesamt Mitglieder einer Erbengemeinschaft, über die Erfüllung von Auskunfts- und Rechenschaftspflichten. Der Kläger, ein Miterbe, verlangte von der Beklagten, seiner Schwester und ebenfalls Miterbin, Auskunft und Rechenschaft über finanzielle Transaktionen, die sie als Bevollmächtigte der Erblasserin, ihrer Mutter, vorgenommen hatte.
Die Beklagte war aufgrund einer General- und Vorsorgevollmacht seit 2011 berechtigt, im Namen der Erblasserin weitreichende finanzielle Entscheidungen zu treffen. Der Kläger behauptete, die Beklagte habe zahlreiche Finanzgeschäfte getätigt, ohne ordnungsgemäß darüber Auskunft zu geben. Daher klagte er auf Auskunft und Rechenschaft über alle finanziellen Transaktionen, die die Beklagte im Namen der Erblasserin durchgeführt hatte.
Das Landgericht Stendal wies die Klage ab, da es der Auffassung war, die Beklagte habe ihre Auskunfts- und Rechenschaftspflichten bereits erfüllt. Diese Entscheidung wurde nun vom OLG Sachsen-Anhalt bestätigt.
Kernpunkte der Entscheidung
Das OLG Sachsen-Anhalt stellte in seiner Entscheidung fest, dass die Auskunftspflicht eines Beauftragten nach § 666 BGB nur solche Geschäfte umfasst, die der Beauftragte tatsächlich im Namen des Geschäftsherrn vorgenommen hat. Die Reichweite dieser Pflicht ist unabhängig davon, ob die Tätigkeit im Rahmen eines umfänglichen Auftrags oder mehrerer Einzelaufträge erfolgte.
- Begrenzung der Auskunftspflicht: Die Pflicht zur Auskunft und Rechenschaft nach § 666 BGB erstreckt sich nur auf tatsächlich durchgeführte Geschäfte. Dies bedeutet, dass die Beklagte nur über jene Transaktionen Auskunft geben musste, die sie im Auftrag der Erblasserin vorgenommen hatte. Geschäfte, die nicht unter die Generalvollmacht fielen oder gar nicht durchgeführt wurden, waren von der Auskunftspflicht ausgenommen.
- Erfüllung der Auskunftspflicht: Die Beklagte hatte dem Kläger umfassende Auskünfte zu den Finanztransaktionen gegeben, die sie für die Erblasserin vorgenommen hatte. Diese Auskünfte umfassten detaillierte Angaben zu einzelnen Transaktionen, einschließlich des Verwendungszwecks von Abhebungen und Überweisungen. Das OLG erkannte diese Auskünfte als ausreichend an und sah die Auskunftspflicht als erfüllt an.
- Rechenschaftspflicht und Belegvorlage: Im Rahmen der Rechenschaftspflicht nach § 666 BGB besteht grundsätzlich die Pflicht, Belege für die getätigten Geschäfte vorzulegen. Das OLG stellte jedoch klar, dass diese Pflicht nur insoweit besteht, wie dem Beauftragten die entsprechenden Belege noch zur Verfügung stehen. Für weiter zurückliegende Geschäfte, für die keine Belege mehr existieren, entfällt diese Pflicht.
- Gesamterklärung des Beauftragten: Die Erklärung der Beklagten, dass sie über die von ihr dargelegten Einzelaufträge hinaus keine weiteren Geschäfte im Namen der Erblasserin durchgeführt habe, wurde vom OLG als sogenannte Gesamterklärung bewertet. Eine solche Erklärung erfüllt die Anforderungen an die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht, sofern sie alle relevanten Geschäfte erfasst.
Einordnung in die Problematik der Auskunftspflicht von Miterben
Das Urteil des OLG Sachsen-Anhalt fügt sich nahtlos in die bestehende Rechtsprechung zur Auskunftspflicht von Miterben ein, die vom Erblasser bevollmächtigt wurden. Die Entscheidung verdeutlicht die besonderen Anforderungen, die an die Auskunfts- und Rechenschaftspflichten von Miterben gestellt werden, wenn diese als Beauftragte des Erblassers gehandelt haben.
Auskunftspflicht im Rahmen der Erbengemeinschaft
Die Entscheidung des OLG bestätigt, dass die Auskunftspflicht sich nur auf jene Geschäfte erstreckt, die der Beauftragte tatsächlich durchgeführt hat. Es reicht nicht aus, pauschal eine Generalvollmacht zu haben; der Miterbe muss konkrete Transaktionen nachweisen können, über die er Auskunft verlangt.
Rechenschaftspflicht und Belegvorlage
Das Urteil stellt klar, dass die Pflicht zur Rechenschaftslegung grundsätzlich die Vorlage von Belegen umfasst. Diese Belegpflicht kann jedoch eingeschränkt sein, wenn keine Belege mehr verfügbar sind, insbesondere bei weit zurückliegenden Geschäften. Für die Praxis bedeutet dies, dass Miterben, die als Beauftragte tätig waren, sorgfältig Belege aufbewahren sollten, um ihrer Rechenschaftspflicht nachkommen zu können.
Gesamterklärung als Erfüllung der Auskunftspflicht
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus dem Urteil ist die Anerkennung der sogenannten Gesamterklärung. Wenn der Beauftragte erklärt, keine weiteren Geschäfte im Rahmen der Vollmacht vorgenommen zu haben, kann diese Erklärung die Auskunftspflicht erfüllen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Erklärung umfassend und wahrheitsgemäß ist. Andernfalls riskiert der Beauftragte, dass die Auskunftspflicht als nicht erfüllt angesehen wird.
Fazit von Rechtsanwalt Mathias Nittel | Fachanwalt für Erbrecht
Das Urteil des OLG Sachsen-Anhalt vom 7. März 2024 (Az.: 2 U 27/23) liefert klare Leitlinien für die Auskunfts- und Rechenschaftspflichten von Miterben, die als Beauftragte des Erblassers tätig waren. Die Entscheidung betont, dass diese Pflichten nur insoweit bestehen, wie tatsächlich Geschäfte im Namen des Erblassers durchgeführt wurden. Die Auskunftspflicht wird durch umfassende Erklärungen, wie die Gesamterklärung, erfüllt, sofern diese vollständig und korrekt sind.
Für die Praxis ist diese Entscheidung von großer Bedeutung. Miterben, die als Bevollmächtigte tätig sind, müssen ihre Tätigkeiten sorgfältig dokumentieren und aufbewahren. Andernfalls riskieren sie, ihre Auskunfts- und Rechenschaftspflichten nicht vollständig erfüllen zu können und, wie die Schwester einer von mir vertretenen Miterbin, die Beträge, bezüglich derer sie keine Verwendung für den Erblasser nachweisen können, an die Erbengemeinschaft zurückzahlen müssen. Auf der anderen Seite müssen Miterben, die Auskunft verlangen, ihre Ansprüche konkret und beweisbar darlegen, um erfolgreich zu sein.
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