Die gesetzliche Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge bestimmt, wer das Vermögen einer verstorbenen Person erhält, wenn kein Testament oder Erbvertrag existiert. Dies geschieht automatisch gemäß den gesetzlichen Bestimmungen. In Deutschland ist es ein wichtiges Anliegen des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass das Erbe sofort und vollständig den Hinterbliebenen zugeordnet wird. Zwei grundlegende Prinzipien sind dabei entscheidend: der “Von-Selbst-Erwerb” und die Universalsukzession. In diesem Beitrag werden die Grundzüge der gesetzlichen Erbfolge erläutert.

Inhaltsverzeichnis

Grundprinzipien der gesetzlichen Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser keine letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) hinterlässt.

Gesamtrechtsnachfolge

Die Gesamtrechtsnachfolge bedeutet, dass das gesamte Vermögen und alle Verbindlichkeiten einer Person mit ihrem Tod automatisch auf eine oder mehrere Erben übergehen. Die Erben treten also in die rechtliche Position des Verstorbenen ein, ohne dass hierfür einzelne Rechtsgeschäfte erforderlich wären. Dies umfasst sowohl die Rechte als auch die Pflichten des Erblassers.

Dieser automatische Erwerb wird als “Von-Selbst-Erwerb” bezeichnet. Das gesamte Vermögen geht gemäß der Universalsukzession im Moment des Todes des Erblassers auf die Erben über.

Es ist nicht möglich, nur bestimmte Vermögenswerte zu erben, außer in wenigen spezialgesetzlich geregelten Ausnahmefällen.

Erblasser

Eine verstorbene Person, deren Vermögen auf einen oder mehrere Erben übergeht, wird als Erblasser bezeichnet. Der Begriff “Erblasser” bezieht sich grundsätzlich auf die verstorbene Person. Im Erbrecht wird jedoch auch für noch lebende Menschen der Begriff “Erblasser” verwendet, wenn es um Verfügungen von Todes wegen wie ein Testament oder einen Erbvertrag geht.

Die gesetzliche Erbfolge als Standardlösung

Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn kein wirksames Testament oder Erbvertrag vorhanden ist, in dem der Erblasser seine Erben bestimmt hat. Sie stellt somit eine Standardlösung dar, die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt ist. Dabei wird im deutschen Erbrecht streng zwischen dem Verwandten- und dem Ehegattenerbrecht unterschieden.

Verwandtenerbrecht

Die gesetzliche Erbfolge sieht ein Verwandtenerbrecht vor, bei dem die Verwandten des Erblassers in verschiedene Ordnungen eingeteilt werden, wobei in höheren Ordnungen vorhandene Erben jene in niedrigeren Ordnungen ausschließen.

Das BGB bestimmt, wer erbberechtigt ist. Die Erben werden in verschiedene Ordnungen eingeteilt, die nacheinander berücksichtigt werden. Erben niedrigerer Ordnungen kommen nur zum Zuge, wenn keine Erben höherer Ordnung vorhanden sind.

Die Erben nach Ordnungen

  • Erben erster Ordnung: Kinder und deren Nachkommen
  • Erben zweiter Ordnung: Eltern und deren Nachkommen (Geschwister, Nichten/Neffen)
  • Erben dritter Ordnung: Großeltern und deren Nachkommen (Onkel/Tanten, Cousins/Cousinen)
  • Erben vierter Ordnung: Urgroßeltern und deren Nachkommen

Erben erster Ordnung

Kinder und deren Nachkommen

Die erste Ordnung (§ 1924 BGB) umfasst alle direkten Nachkommen eines Verstorbenen als potenzielle Erben. Jedoch bedeutet dies nicht automatisch, dass sie auch tatsächlich gesetzliche Erben sind oder in welchem Ausmaß sie erben werden. Dies ergibt sich aus den folgenden Prinzipien, die in der ersten Ordnung gelten:

  1. Kinder erben zu gleichen Anteilen.
  2. Ein zum Zeitpunkt des Erbfalls lebendes “Stammesoberhaupt” schließt seine mit dem Verstorbenen verwandten Nachkommen von der Erbfolge aus (Repräsentationsprinzip).
  3. Wenn ein Nachkomme zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr lebt oder das Erbe ausschlägt, treten an seine Stelle seine mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (Erbfolge nach Stämmen).

Die oben genannten Grundsätze gelten ohne Einschränkung auch in der zweiten und dritten Ordnung. Daher erben auch in diesen Ordnungen die Kinder zu gleichen Teilen, und die Erbfolge wird innerhalb der Ordnung nach dem Repräsentations- und Stammprinzip bestimmt.

Ab der vierten Ordnung gelten diese Grundsätze nur eingeschränkt. Stattdessen ist der Grad der Verwandtschaft ausschlaggebend. Eine näher verwandte Person schließt alle weiter entfernt verwandten Personen von der Erbfolge aus, während gleich nahe Verwandte zu gleichen Teilen erben.

Beispiel:

Ein Erblasser hinterlässt zwei Kinder und ein Enkelkind, das Kind eines verstorbenen Sohnes. Beide Kinder erben je zur Hälfte. Das Enkelkind erbt den Anteil des verstorbenen Vaters.

Besonderheiten bei nichtehelichen Kindern

Nichteheliche Kinder sind den ehelichen Kindern gleichgestellt. Sie haben die gleichen Erbrechte. Das gilt auch für adoptierte Kinder.

Hier ist die grafische Darstellung der Verteilung des Erbes bei Erben erster Ordnung:

Diese Grafik zeigt die prozentuale Aufteilung des Erbes bei Erben erster Ordnung. In diesem Beispiel hinterlässt der Erblasser zwei Kinder und ein Enkelkind (Kind eines verstorbenen Sohnes). Beide Kinder erben je 50%, wobei das Enkelkind den Anteil des verstorbenen Elternteils erhält.

  • Kind 1: 50%
  • Kind 2 (verstorben): 0%
  • Enkelkind: 50%

Erben zweiter Ordnung

Eltern und deren Nachkommen

Gibt es keine Erben erster Ordnung, erben die Eltern des Erblassers als Erben zweiter Ordnung. (§ 1925 BGB). Sind beide Elternteile verstorben, treten deren Nachkommen, also Geschwister des Erblassers und deren Nachkommen, ein.

Beispiel:

Ein Erblasser hinterlässt seine Mutter und zwei Geschwister. Die Mutter erbt die Hälfte des Nachlasses. Die Geschwister teilen sich die andere Hälfte.

Besonderheiten bei Halbgeschwistern

Halbgeschwister erben nur den Anteil des gemeinsamen Elternteils. Vollgeschwister erben doppelt so viel wie Halbgeschwister.

Diese Grafik zeigt die prozentuale Aufteilung des Erbes bei Erben zweiter Ordnung. In diesem Beispiel hinterlässt der Erblasser eine Mutter und zwei Geschwister:

  • Mutter: 50%
  • Geschwister 1: 25%
  • Geschwister 2: 25%

Erben dritter Ordnung

Großeltern und deren Nachkommen

Sind weder Erben erster noch zweiter Ordnung vorhanden, erben die Großeltern des Erblassers und deren Nachkommen als Erben dritter Ordnung. (§ 1926 BGB)

Beispiel:

Ein Erblasser hinterlässt keine Kinder, Eltern oder Geschwister. Seine Großeltern und deren Nachkommen erben.

Besonderheiten bei entfernten Verwandten

Je weiter der Verwandtschaftsgrad, desto komplexer wird die Erbteilung. Großeltern erben vor Onkeln und Tanten, deren Kinder erst danach.

Diese Grafik zeigt die prozentuale Aufteilung des Erbes bei Erben dritter Ordnung. In diesem Beispiel hinterlässt der Erblasser zwei Großelternteile und zwei Onkel/Tanten:

  • Großelternteil 1: 25%
  • Großelternteil 2: 25%
  • Onkel/Tante 1: 25%
  • Onkel/Tante 2: 25%

Erben vierter Ordnung

Urgroßeltern und deren Nachkommen

Fehlen Erben erster bis dritter Ordnung, erben die Urgroßeltern und deren Nachkommen als Erben vierter Ordnung. (§ 1928 BGB) Das betrifft häufig entferntere Verwandte.

Beispiel:

Ein Erblasser hinterlässt keine näheren Verwandten. Seine Urgroßeltern und deren Nachkommen erben.

Besonderheiten bei der Ermittlung

Die Ermittlung der Erben dritter oder gar vierter Ordnung kann sehr aufwendig sein. Häufig sind genealogische Recherchen notwendig.

Diese Grafik zeigt die prozentuale Aufteilung des Erbes bei Erben vierter Ordnung. In diesem Beispiel hinterlässt der Erblasser zwei Großelternteile und zwei Onkel/Tanten:

  • Großelternteil 1: 25%
  • Großelternteil 2: 25%
  • Onkel/Tante 1: 25%
  • Onkel/Tante 2: 25%

Der Ehegatte in der gesetzlichen Erbfolge

In der gesetzlichen Erbfolge hat der Ehegatte eine besondere Stellung. Je nach Güterstand und weiteren Erben unterscheidet sich der Anteil des Ehegatten am Nachlass. Grundsätzlich gilt, dass der Ehegatte immer neben den anderen gesetzlichen Erben erbt, wobei der gesetzliche Güterstand und der Zugewinnausgleich eine wichtige Rolle spielen.

Güterstände und ihre Auswirkungen

In Deutschland gibt es drei verschiedene Güterstände, die durch das Gesetz oder durch Ehevertrag zwischen den Ehegatten festgelegt werden:

  1. Zugewinngemeinschaft (gesetzlicher Güterstand)
  2. Gütertrennung
  3. Gütergemeinschaft

Die Wahl des Güterstands beeinflusst den Erbteil des überlebenden Ehegatten erheblich.

Zugewinngemeinschaft: Der gesetzliche Güterstand

Die Zugewinngemeinschaft ist der gesetzliche Güterstand, der gilt, wenn die Eheleute keinen anderen Güterstand vertraglich (Ehevertrag) vereinbart haben. Hierbei bleibt das Vermögen der Eheleute grundsätzlich getrennt. Was ein Ehegatte während der Ehe an Vermögen hinzugewinnt, fällt jedoch unter den Zugewinnausgleich.

Im Erbfall hat der überlebende Ehegatte zwei Rechte:

  1. Das Erbrecht nach der gesetzlichen Erbfolge
  2. Der Zugewinnausgleich

Erbrecht des Ehegatten in der Zugewinngemeinschaft

Der Erbteil des Ehegatten hängt davon ab, ob und welche weiteren Erben neben ihm existieren:

  • Neben Abkömmlingen des Erblassers (Kinder und deren Nachkommen) erbt der Ehegatte ein Viertel des Nachlasses. Zusätzlich erhält der Ehegatte ein weiteres Viertel als pauschalen Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 1 BGB). Damit erbt er insgesamt die Hälfte des Nachlasses.
  • Neben Eltern oder deren Abkömmlingen erbt der Ehegatte die Hälfte des Nachlasses. Auch hier erhöht sich sein Erbteil um ein weiteres Viertel wegen des Zugewinnausgleichs. Somit erhält der Ehegatte in diesen Fällen insgesamt drei Viertel des Nachlasses.
  • Wenn keine Erben der ersten oder zweiten Ordnung existieren, erbt der Ehegatte den gesamten Nachlass.

Zugewinnausgleich im Todesfall

Der Zugewinnausgleich dient dazu, den während der Ehe erworbenen Vermögenszuwachs zwischen den Ehegatten auszugleichen. Stirbt ein Ehegatte, erhält der überlebende Ehegatte neben seinem gesetzlichen Erbteil einen pauschalen Zugewinnausgleich in Höhe von einem Viertel des Nachlasses (§ 1371 Abs. 1 BGB). Dieser pauschale Ausgleich gilt, ohne dass eine genaue Berechnung des Zugewinns erfolgen muss.

Beispiel: Hat der Erblasser Kinder, erbt der überlebende Ehegatte die Hälfte des Nachlasses. Ein Viertel davon entspricht dem Erbrecht neben den Kindern, und ein weiteres Viertel stellt den Zugewinnausgleich dar.

Gütertrennung: Ohne Zugewinnausgleich

Bei der Gütertrennung bleibt das Vermögen der Eheleute vollständig getrennt. Es findet also kein Zugewinnausgleich im Erbfall statt. Der Erbteil des Ehegatten hängt davon ab, wie viele Abkömmlinge des Erblassers existieren:

  • Neben einem Kind erbt der Ehegatte die Hälfte des Nachlasses.
  • Neben zwei Kindern erbt der Ehegatte ein Drittel des Nachlasses.
  • Neben drei oder mehr Kindern erbt der Ehegatte ein Viertel des Nachlasses.
  • Neben Eltern oder deren Abkömmlingen erbt der Ehegatte die Hälfte des Nachlasses.
  • Existieren keine Erben der ersten oder zweiten Ordnung, erbt der Ehegatte den gesamten Nachlass.

Im Vergleich zur Zugewinngemeinschaft ist der Erbteil des Ehegatten bei der Gütertrennung in der Regel kleiner. Da es keinen pauschalen Zugewinnausgleich gibt, erhält der Ehegatte nur den reinen Erbteil gemäß der gesetzlichen Erbfolge.

Gütergemeinschaft: Gemeinsames Vermögen

Bei der Gütergemeinschaft bilden die Eheleute ein gemeinsames Vermögen, das sogenannte Gesamtgut. In der Regel wird dieses Gesamtgut im Todesfall des Erblassers geteilt. Der überlebende Ehegatte erhält die Hälfte des Gesamtguts. Das verbleibende Vermögen wird dann unter den Erben aufgeteilt.

  • Neben Abkömmlingen erbt der Ehegatte zusätzlich zu seiner Hälfte am Gesamtgut ein Viertel des verbleibenden Nachlasses.
  • Neben Eltern oder deren Abkömmlingen erbt der Ehegatte die Hälfte des Nachlasses zusätzlich zu seiner Hälfte am Gesamtgut.

In der Gütergemeinschaft ist der Erbteil des Ehegatten meist höher als in der Gütertrennung, da der Ehegatte bereits die Hälfte des gemeinsamen Vermögens besitzt.

Nachteile der gesetzlichen Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge kann zu unerwünschten Ergebnissen führen, wie dem Widerspruch zum letzten Willen des Erblassers oder der Bildung streitanfälliger Erbengemeinschaften. Auch können bestimmte Familienmitglieder nicht ausreichend geschützt sein, und die Verwaltung des Nachlasses kann durch minderjährige Erben erschwert werden. Daher ist es dringend zu empfehlen, ein Testament zu errichten, um die gewünschte Erbfolge, Vorsorge oder Absicherung zu erreichen.

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