Der Pflichtteilsanspruch sichert nahe Angehörige, insbesondere Kinder, vor einem vollständigen Ausschluss vom Nachlass durch Enterbung ab und gewährt ihnen einen Mindestanteil am Nachlass.
Pflichtteil für Kinder – Wichtige Informationen auf einen Blick
- Der Pflichtteil ist ein Anteil am Erbe, der Kindern, (Ehe-) Partnern und, bei kinderlosen Erblassern den Eltern, auch bei Enterbung, mindestens als Geldanspruch zusteht.
- Der Pflichtteil für Kinder beträgt stets die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
- Adoptivkinder werden wie leibliche Kinder behandelt, während Stiefkinder keinen Anspruch auf den Pflichtteil haben.
- Pflichtteilsansprüche verjähren nach drei Jahren.
- Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Pflichtteil pflichtteilsberechtigten Kindern entzogen werden.
- Bestimmte Schenkungen (z.B. innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall, an (Ehe-) Partner zeitlich unbegrenzt) können zusätzlich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösen.
Sind alle Kinder pflichtteilsberechtigt?
Grundsätzlich sind alle leiblichen und adoptierten Kinder pflichtteilsberechtigt. Das deutsche Erbrecht unterscheidet dabei nicht zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern. Dies bedeutet, dass alle Abkömmlinge eines Erblassers – unabhängig von ihrem Status – Anspruch auf den Pflichtteil haben. Keinen Anspruch auf einen Pflichtteil haben Stiefkinder.
Ausgenommen von der Pflichtteilsberechtigung sind lediglich Kinder, die aufgrund schwerwiegender Gründe enterbt wurden. Dazu zählen bestimmte Pflichtteilsentziehungsgründe, auf die später noch eingegangen wird.
Haben Kinder bei Ausschlagung des Erbes einen Anspruch auf einen Pflichtteil?
Mit der Erbausschlagung verliert man grundsätzlich auch seinen Anspruch auf den Pflichtteil. Dies gilt auch, wenn Kinder ihr Erbe ausschlagen.
Der Pflichtteilsanspruch bleibt jedoch auch bei Kindern ausnahmsweise dann bestehen, wenn der Erbteil durch eine Beschwerung oder Beschränkung belastet ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Erbe durch ein Vermächtnis oder eine Auflage belastet ist, ein Nacherbe eingesetzt, ein Testamentsvollstrecker bestimmt wurde oder eine Teilungsordnung das Erbe einschränkt.
Höhe des Pflichtteils für Kinder
Der Pflichtteil für Kinder beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Der gesetzliche Erbteil ergibt sich aus der gesetzlichen Erbfolge, die wiederum von der Anzahl der erbberechtigten Personen und deren Verwandtschaftsgrad abhängt.
Beispiel
Hinterlässt ein Erblasser drei Kinder und keinen Ehepartner, wäre der gesetzliche Erbteil eines jeden Kindes ein Drittel des Nachlasses. Der Pflichtteil beträgt in diesem Fall ein Sechstel des Nachlasses pro Kind.
Wichtige Informationen zur Einforderung des Pflichtteils für Kinder
Kinder müssen den Pflichtteil aktiv einfordern. Der Pflichtteilsanspruch entsteht mit dem Tod des Erblassers. Dazu müssen die Kinder ihren Anspruch beim Erben anmelden. Diese Forderung sollte schriftlich erfolgen und eine Frist zur Auszahlung des Pflichtteils setzen.
Es ist ratsam, frühzeitig professionelle Unterstützung durch einen Fachanwalt für Erbrecht in Anspruch zu nehmen, um die genaue Höhe des Pflichtteils zu ermitteln und mögliche Streitigkeiten zu vermeiden. Besonders komplex wird es, wenn der Nachlass schwer zu bewerten ist, etwa bei Immobilien oder Unternehmensanteilen.
Verjährung von Pflichtteilsansprüchen von Kindern
Pflichtteilsansprüche verjähren in der Regel nach drei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte vom Erbfall und seiner Enterbung und der Person des Erben Kenntnis erlangt hat. In der Praxis bedeutet dies, dass Kinder innerhalb dieses Zeitraums aktiv werden müssen, um ihren Pflichtteil geltend zu machen.
Sind Kinder beim Erbfall minderjährig, beginnt die Verjährung erst ab der Vollendung des 21. Lebensjahres zu laufen, soweit sich der Pflichtteilsanspruch gegen seine Eltern oder den Ehepartner oder Lebenspartner des Kindes richtet.. (§ 207 Abs. 1 Nr. 2 BGB)
Dies umfasst nicht Pflichtteilsansprüche gegen testamentarische Erben, die mit dem Erblasser in ehe- oder familienähnlichen Rechtsverhältnissen gelebt haben. Lebte ein Elternteil mit einem Partner außerhalb einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft im Sinne des Lebenspartnerschaft-Gesetzes (LPartG) zusammen, beginnt die Verjährung der Pflichtteilsansprüche mit Kenntnis vom Erbfall und der Enterbung.
Können Kinder den Pflichtteil vor Eintritt des Todesfalls fordern?
Rechtlich gesehen, können Kinder ihren Pflichtteil grundsätzlich erst nach dem Tod des Erblassers geltend machen. Das deutsche Erbrecht erlaubt es nicht, Pflichtteilsansprüche zu Lebzeiten des Erblassers durchzusetzen. Der Pflichtteil ist strikt an den Erbfall gebunden und kann daher erst nach dem Tod des Erblassers eingefordert werden.
Ungeachtet dessen können Eltern und Kinder bereits zu Lebzeiten eine Vereinbarung treffen, in der das Kind auf seinen Erb- und Pflichtteil verzichtet und dafür eine Abfindungszahlung erhält. (Pflichtteilsverzichtsvertrag)
Wann kann Kindern der Pflichtteil entzogen werden? – Pflichtteilsentziehungsgründe
Der Entzug des Pflichtteils ist nur in Ausnahmefällen möglich. Die Gründe hierfür sind in § 2333 BGB eng gefasst. Der Erblasser kann einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling:
- dem Erblasser, dessen Ehegatten, einem anderen Abkömmling oder einer ähnlich nahestehenden Person nach dem Leben trachtet,
- ein Verbrechen oder ein schweres vorsätzliches Vergehen gegen eine der oben genannten Personen begangen hat,
- seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt,
- rechtskräftig wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt oder rechtskräftig die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt aufgrund einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat angeordnet wurde, was die Teilhabe am Nachlass für den Erblasser unzumutbar macht.
Die Pflichtteilsentziehung muss durch ein Testament oder einen Erbvertrag verfügt werden. Es reicht nicht, die Enterbung lediglich mündlich auszusprechen. Der Erblasser muss die Gründe für den Entzug im Testament oder Erbvertrag konkret benennen.
Pflichtteilsergänzungsanspruch für Kinder
Auch Kinder haben einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dieser schützt sie vor einer Benachteiligung durch Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten. Hat der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod Schenkungen vorgenommen, können diese unter bestimmten Voraussetzungen dem Nachlass hinzugerechnet werden. Der Pflichtteilsberechtigte erhält dann einen Anteil am fiktiven Nachlass, der diese Schenkungen berücksichtigt. (§ 2325 BGB) Der zu berücksichtigende Wert reduziert sich pro Jahr, das seit zwischen Schenkung und Erbfall vergangen ist um 10 %. Für Schenkungen an den (Ehe-) Partner gilt keine zeitliche Beschränkung.
Beispiel
Der Erblasser hinterlässt Ehefrau und zwei Kinder (S und T). Sein Vermögen beläuft sich auf 1 Mio. €. In den 70er Jahren haben der Erblasser und seine Ehefrau eine Immobilie erworben, sind Eigentümer im Grundbuch zu je ½. Die Ehefrau war nicht berufstätig und hatte kein Vermögen. Die Aufwendungen für die Finanzierung des Hauses beliefen sich auf 1 Mio. €. 4 Jahre vor seinem Tod schenkte der Erblasser 100.000 € an seine Tochter T. S wurde durch Berliner Testament enterbt.
Pflichtteilsanspruch des S
Gesetzlicher Erbteil des S wäre ¼, sein Pflichtteil beträgt folglich 1/8 = 125000 €.
Pflichtteilergänzungsanspruch wegen der Immobilie
Die Aufwendungen des Erblassers für die Finanzierung des hälftigen Miteigentumsanteils werden rechtlich wie Schenkungen gewertet. S hat demnach einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung in Höhe von 1/8 aus 500.000€ = 62.500 €.
Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen Schenkung an T
Zwischen Schenkung der 100.000 € an T und Erbfall sind 4 Jahre vergangen. Zu berücksichtigen sind also nur 60 % = 60.000 €. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch von 1/8 beläuft sich auf 7.500 €.
S hat gegen seine Mutter insgesamt einen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 195.000€.
Die Pflichtteilsansprüche von Kindern beim Berliner Testament
Das Berliner Testament birgt das Risiko, dass der überlebende Ehepartner durch Pflichtteilsansprüche der Kinder belastet wird. Da die Ehegatten sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen, bedeutet dies zugleich die Enterbung der Kinder im ersten Erbfall. Wenn der Nachlass zum Großteil aus einer Immobilie besteht, kann der Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch der Kinder zu finanziellen Engpässen führen, die den Verkauf des Hauses erforderlich machen, um den Pflichtteil auszuzahlen. Dies könnte dem überlebenden Ehepartner die finanzielle Grundlage für das Alter und mögliche Pflegebedürftigkeit entziehen. Um dies zu vermeiden, sollten die Eltern bereits zu Lebzeiten versuchen, mit den Kindern einen Pflichtteilsverzicht zu vereinbaren, eventuell gegen Zahlung einer Abfindung im Rahmen eines notariell beurkundeten Vertrages.
Aus Sicht des Kindes stellt sich die Frage, ob es tatsächlich abwarten soll, bis der allein erbende Ehepartner verstorben ist. Er weiß nicht, was dann vom Erbe des erstversterbenden Elternteil noch übrig ist (Stichwort Pflegekosten).
Pflichtteilsstrafklausel im Berliner Testament
Die Pflichtteilsstrafklausel im Berliner Testament dient dazu, zu verhindern, dass Kinder entgegen dem Willen der Eltern ihren Pflichtteil nach dem Tod eines Elternteils einfordern. Diese Klausel sieht vor, dass ein Kind, das seinen Pflichtteil nach dem ersten Erbfall geltend macht, nach dem Tod des zweiten Elternteils enterbt wird und somit nicht als Schlusserbe der gesamten Erbschaft berücksichtigt wird, sondern erneut nur seinen Pflichtteil erhält. Die Pflichtteilstrafklausel greift aber nur dann, wenn Kinder nach dem überlebenden Ehepartner pflichtteilsberechtigt sind. Bei Stiefkindern ist dies nicht der Fall.
Praxistipp von Rechtsanwalt Mathias Nittel – Fachanwalt für Erbrecht
Anstelle der Pflichtteilsstrafklausel, die keinen wirksamen Schutz bietet, weil Kinder dennoch ihren Pflichtteil fordern können, empfehle ich die Errichtung eines gemeinsamen Terstaments der Eheleute, in dem die Kinder zu Schlusserben eingesetzt werden. Gleichzeitig verzichten die Kinder in einer notariellen Vereinbarung mit den Eltern auf den Pflichtteil nach dem erstversterbenden Elternteil.
Will man das Risiko gänzlich ausschließen, dass der Nachlass nach dem erstversterbenden Elternteil durch den überlebenden Elternteil verbraucht oder zum Beispiel durch Pflegekosten “aufgefressen” wird, empfehle ich, im gemeinsamen Testament den Anteil des erstversterbenden Elternteils an einer Familienimmobilie an die Kinder zu vermachen und das Vermächtnis mit einem Wohnrecht oder Niessbrauch zu Gunsten des überlebenden Elternteils zu beschweren.