Der Bundesgerichtshof (BGH 4. Zivilsenat, Beschluss vom 19.06.2024 – IV ZB 13/23) hatte in einem Fall zu entscheiden, ob ein Notar die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses im ZUsammenhang mit der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs verweigern durfte, weil er der Ansicht war, dass die ihm vorliegenden Informationen unvollständig und unsicher seien. Der Notar argumentierte, dass es ihm aufgrund seiner eigenen, umfangreichen Nachforschungen nicht möglich sei, ein den rechtlichen Anforderungen entsprechendes Nachlassverzeichnis zu erstellen. Dies stellte ihn vor die Frage, ob er seine Amtspflichten verletzen würde, wenn er ein solches Verzeichnis trotz unzureichender Informationen ausstellte.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall hatte die testamentarische Alleinerbin, die Lebensgefährtin des Verstorbenen, einen Notar mit der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses beauftragt. Diese war durch ein Teilurteil auf Antrag der Pflichtteilsberechtigten zur Auskunftserteilung mittels eines solchen Verzeichnisses verpflichtet worden. Der Notar führte daraufhin eigene Ermittlungen durch, unter anderem durch Anfragen bei verschiedenen Grundbuchämtern und Kreditinstituten. Aufgrund der kurzen Beziehung zwischen der Erbin und dem Erblasser konnte die Erbin nur wenige gesicherte Angaben machen, was den Notar vor Schwierigkeiten bei der Erstellung eines vollständigen Verzeichnisses stellte. Daraufhin weigerte sich der Notar, ein vollständiges Nachlassverzeichnis zu erstellen, da er keine vollständigen Informationen erhalten konnte und somit nicht sicherstellen konnte, dass das Verzeichnis den rechtlichen Anforderungen genügte. Er argumentierte auch, dass der bereits aufgewendete Zeitaufwand unangemessen hoch sei und eine weitere Tätigkeit unzumutbar mache.
Vorinstanzliche Entscheidung
Das Landgericht Bad Kreuznach wies die Beschwerde gegen die Weigerung des Notars mit der Begründung zurück, dass ein ausreichender Grund für die Verweigerung der Erstellung des Nachlassverzeichnisses vorliege. Der Notar habe nach den von ihm ermittelten Daten kein vollständiges und inhaltlich korrektes Verzeichnis erstellen können und daher zu Recht die Erstellung verweigert.
Entscheidung des BGH
Der BGH hob die Entscheidung des Landgerichts auf und wies den Notar an, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen. Der BGH stellte fest, dass die Weigerung des Notars, das Nachlassverzeichnis zu erstellen, nicht mit seinen Amtspflichten vereinbar sei. Es gebe keinen zwingenden Ablehnungsgrund, der die Verweigerung rechtfertige. Der Notar sei verpflichtet, die notwendigen Nachforschungen durchzuführen und ein Verzeichnis des Nachlasses zu erstellen, auch wenn er Zweifel an der Vollständigkeit oder Korrektheit der Informationen habe. Diese Zweifel müsse er im Verzeichnis vermerken, statt die Amtstätigkeit zu verweigern.
Der BGH betonte, dass ein Notar den Bestand des Nachlasses selbst ermitteln und das Bestandsverzeichnis bestätigen müsse. Er könne sich dabei nicht nur auf die Angaben des Erben verlassen, sondern müsse eigene Nachforschungen anstellen, wie sie ein objektiver Dritter in der Position des Gläubigers für notwendig erachten würde. Die Mitwirkung des Erben bei der Erstellung des Verzeichnisses sei in dem Umfang erforderlich, wie es für die ordnungsgemäße Erstellung des Verzeichnisses notwendig sei. Der Notar müsse das Wissen des Erben nutzen und diesen ggf. dazu auffordern, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Dritten, wie zum Beispiel Kreditinstituten, durchzusetzen. Die vom Erben geforderte Kooperation könne auch in der Anweisung an Dritte bestehen, die benötigten Informationen direkt dem Notar zu übermitteln.
Der BGH stellte klar, dass verbleibende Unklarheiten den Notar nicht zur Verweigerung seiner Amtstätigkeit berechtigen. Er müsse den Sachverhalt, wie er sich ihm darstellt, in das Verzeichnis aufnehmen und seine Zweifel entsprechend kenntlich machen. Der Einwand des Notars, dass der Zeitaufwand für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses unangemessen sei, wurde vom BGH nicht als ausreichender Grund anerkannt, die Urkundstätigkeit zu verweigern.
Auswirkungen der Entscheidung
Diese Entscheidung stärkt die Rechte der Erben, die zur Auskunftserteilung verpflichtet sind. Sie stellt klar, dass Notare hohe Anforderungen an ihre Amtspflichten erfüllen müssen und nur in Ausnahmefällen die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses verweigern dürfen. Der BGH hat betont, dass die für notarielle Urkunden geltende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit nicht auf Nachlassverzeichnisse übertragen werden kann, da es sich hierbei um eine einseitige Wissenserklärung handelt. Der Notar ist verpflichtet, alle ihm zugänglichen Informationen zu sammeln und in das Verzeichnis aufzunehmen, auch wenn er Zweifel an deren Vollständigkeit hat.
Bedeutung für die Praxis
Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass Notare bei der Erstellung von Nachlassverzeichnissen eine sehr gründliche und umfassende Recherche durchführen müssen. Sie dürfen sich nicht nur auf die Angaben des Erben verlassen, sondern müssen eigene Ermittlungen anstellen und etwaige verbleibende Unklarheiten dokumentieren. Notare sind verpflichtet, auch bei unvollständigen Informationen ein Verzeichnis zu erstellen und ihre Zweifel offen zu legen. Eine Verweigerung der Amtstätigkeit ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn ein zwingender Ablehnungsgrund vorliegt.
Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Notare und die Rechte der Erben. Sie stellt sicher, dass Pflichtteilsberechtigte einen umfassenden Einblick in den Nachlass erhalten und der Erbe seiner Auskunftspflicht nachkommt. Notare müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein und bei der Erstellung von Nachlassverzeichnissen äußerst sorgfältig vorgehen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit mit den Erben und eine umfassende Dokumentation aller durchgeführten Nachforschungen.
Fazit
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass Notare eine zentrale Rolle bei der Erstellung von Nachlassverzeichnissen spielen und dabei strenge Anforderungen an ihre Amtspflichten erfüllen müssen. Eine Verweigerung der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses ist nur in seltenen Fällen gerechtfertigt. Notare müssen alle verfügbaren Informationen nutzen und etwaige Zweifel in ihren Verzeichnissen deutlich machen. Diese Entscheidung stärkt die Position der Pflichtteilsberechtigten und stellt sicher, dass diese umfassende Auskunft über den Nachlass erhalten.