Der Nießbrauch ist eine weit verbreitete Rechtsfigur im Erbrecht, die es ermöglicht, einer Person Nutzungsrechte an einer Sache oder einem Recht einzuräumen, ohne dass diese Person deren Eigentümer wird. Dieses Instrument wird häufig genutzt, um Erblasser, Erben und weitere Beteiligte zu schützen und abzusichern. In diesem Beitrag beleuchte ich die Rechte und Pflichten, die sich aus einem Nießbrauchsrecht ergeben, und betrachten insbesondere die Pflichten des Nießbrauchers in Bezug auf den Unterhalt und die Lastenverteilung zwischen Nießbraucher und Eigentümer.
Inhaltsverzeichnis
Was ist der Nießbrauch?
Der Nießbrauch ist in den §§ 1030 bis 1089 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Gemäß § 1030 BGB ist der Nießbrauch das unveräußerliche und unvererbliche Recht, die Nutzungen einer Sache zu ziehen. Der Nießbraucher ist dabei berechtigt, die Erträge aus einer Sache oder einem Recht zu nutzen, ohne der Eigentümer zu sein. Das Eigentum bleibt beim ursprünglichen Eigentümer, während der Nießbraucher das Nutzungsrecht genießt.
Arten des Nießbrauchs
Es gibt verschiedene Arten von Nießbrauch, die jeweils unterschiedliche Rechte und Pflichten beinhalten:
- Nießbrauch an Immobilien: Der Nießbraucher hat das Recht, eine Immobilie zu bewohnen oder zu vermieten. Er trägt die damit verbundenen Lasten, zum Beispiel Instandhaltungskosten und Betriebskosten.
- Nießbrauch an beweglichen Sachen: Auch bewegliche Sachen, wie Fahrzeuge oder Wertgegenstände, können Gegenstand eines Nießbrauchsrechts sein.
- Nießbrauch an Rechten: Dies betrifft das Recht, die Erträge aus einem anderen Recht, wie beispielsweise Zinsen aus einer Geldanlage, zu nutzen.
Rechte des Nießbrauchers
Der Nießbraucher hat das umfassende Recht, die Nutzungen der Sache oder des Rechts zu ziehen. Er kann beispielsweise in einem Haus oder einer Wohnung wohnen, sie vermieten oder anderweitig nutzen. Dabei darf er die Erträge aus dieser Nutzung behalten, wie es § 1036 BGB festlegt. Er darf die Sache jedoch nicht übermäßig abnutzen oder zerstören, sondern muss sie in einem ordnungsgemäßen Zustand halten.
Pflichten des Nießbrauchers
Das Nießbrauchsrecht geht mit wichtigen Pflichten einher, insbesondere im Hinblick auf den Unterhalt der Sache und die Tragung von Lasten:
- Unterhaltungspflicht (§ 1041 BGB): Der Nießbraucher ist verpflichtet, die Sache in ihrem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten. Das bedeutet, er muss notwendige Reparaturen und Instandhaltungen vornehmen und deren Kosten tragen. Dies umfasst auch die Verpflichtung, regelmäßige Wartungsarbeiten durchzuführen, um den Wert der Sache zu erhalten.
- Tragung der Lasten (§ 1047 BGB): Der Nießbraucher trägt die gewöhnlichen Lasten der Sache. Dies umfasst laufende Kosten wie Grundsteuer, Versicherungen und Betriebskosten bei Immobilien. Außergewöhnliche Lasten, wie größere Sanierungsarbeiten, sind hingegen in der Regel vom Eigentümer zu tragen. Eine Ausnahme besteht, wenn die außergewöhnlichen Lasten durch die Nutzung der Sache entstehen; in diesem Fall kann der Nießbraucher dafür haftbar gemacht werden.
- Verantwortung für Unterhaltspflichten: Der Nießbraucher kann auch im Zusammenhang mit Unterhaltsansprüchen verpflichtet sein, wenn die Sache oder die Erträge aus der Sache zur Erfüllung von Unterhaltspflichten herangezogen werden sollen. Dies ist insbesondere relevant, wenn der Nießbraucher Einkünfte erzielt, die für den Unterhalt von Angehörigen genutzt werden sollen.
Wer trägt welche Lasten? Die Aufteilung zwischen Nießbraucher und Eigentümer
Die Aufteilung der Lasten zwischen Nießbraucher und Eigentümer ist in den §§ 1041 und 1047 BGB geregelt.
Vom Nießbraucher zu tragende Lasten
Grundsätzlich gilt, dass der Inhaber des Nießbrauchsrechts die laufenden Kosten und die gewöhnlichen Lasten der Sache zu tragen hat. Dies umfasst:
- Laufende Betriebskosten: Dazu zählen Strom, Wasser, Heizung, Müllabfuhr und ähnliche Ausgaben.
- Regelmäßige öffentliche Lasten: Die regelmäßigen öffentlichen Lasten, wie Grundsteuer oder Gebühren für den Schornsteinfeger, müssen vom Nießbraucher getragen werden (§ 1047 BGB).
- Dagegen fallen außerordentliche öffentliche Lasten, wie etwa Kosten für Anliegerbeiträge oder Erschließungskosten, in die Verantwortung des Eigentümers.
- Privatrechtliche Lasten, wie die Zinsen für bestehende Grundpfandrechte, sind ebenfalls vom Nießbraucher zu übernehmen, sofern diese Verpflichtungen bereits bei der Bestellung des Nießbrauchs bestanden. Kredite, die erst nach der Bestellung des Nießbrauchs aufgenommen wurden, belasten den Nießbraucher nur, wenn er selbst der Darlehensnehmer ist.
- Instandhaltung und kleinere Reparaturen: Der Nießbraucher muss die Immobilie oder die Sache in einem guten Zustand halten, was regelmäßige Instandhaltungen und kleinere Reparaturen einschließt. (Beispiel: normale Verschleißreparaturen wie das Streichen der Fassade oder Reparaturen an Fenstern und Türen.)
- Grundsteuer und Versicherung: Diese Kosten gehören zu den gewöhnlichen Lasten, die der Nießbraucher tragen muss. Der Nießbraucher ist auch verpflichtet, die Sache gegen Brandschaden und sonstige Unfälle zu versichern (§ 1045 BGB). Zu versichern ist der volle Sachwert. Bei Gebäuden ist eine sog. Neuwertversicherung abzuschließen. Die Versicherungssumme steht dem Eigentümer zu.
Vom Eigentümer zu tragende Lasten
Der Eigentümer hingegen ist für außergewöhnliche Lasten verantwortlich, wie beispielsweise:
- Grundlegende Sanierungen oder Modernisierungen: Diese fallen nicht unter die gewöhnlichen Lasten und müssen daher in der Regel vom Eigentümer getragen werden. (Beispiel: neue Eindeckung des Dachs, Austausch der Heizungsanlage oder Wiederaufbau des zerstörten Gebäudes)
Wichtig! Bei erforderlichen werdenden außergewöhnlichen Arbeiten ist der Nießbraucher verpflichtet, dies dem Eigentümer mitzuteilen (§ 1042 BGB).
- Kosten im Zusammenhang mit einer wesentlichen Verbesserung oder einer Erhöhung des Wertes der Sache.
Gestaltungsmöglichkeiten durch Vereinbarung oder Testament
Die gesetzlichen Regelungen zum Nießbrauchsrecht lassen sich durch individuelle Vereinbarungen oder testamentarische Verfügungen anpassen. Es gibt mehrere Gestaltungsmöglichkeiten, um den Nießbrauch flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Beteiligten abzustimmen:
- Vereinbarung zusätzlicher Pflichten: Die Vertragsparteien können im Nießbrauchsvertrag festlegen, dass der Nießbraucher auch außergewöhnliche Lasten oder größere Instandhaltungsmaßnahmen übernimmt. Dies kann beispielsweise sinnvoll sein, wenn der Nießbraucher eine Immobilie langfristig bewohnt und von der Wertsteigerung profitieren möchte. Zu bedenken ist allerdings, dass er dann die Investitionskosten nicht steuerlich geltend machen kann, da er nicht Eigentümer ist.
- Begrenzung des Nießbrauchs: Das Nießbrauchsrecht kann durch Vereinbarung zeitlich begrenzt werden. Dies ist hilfreich, wenn der Nießbrauch nur für eine bestimmte Lebensphase, z. B. bis zur Volljährigkeit eines Kindes, gelten soll.
- Gestaltung durch Testament: Im Rahmen eines Testaments kann ein Nießbrauch an Vermögenswerten zugunsten eines bestimmten Erben oder Dritten eingeräumt werden. Dies bietet die Möglichkeit, einem überlebenden Ehepartner das Wohnrecht in der gemeinsamen Immobilie zu sichern, während das Haus oder die Wohnung selbst bereits auf die Kinder übertragen wird.
- Vorbehaltsnießbrauch bei Schenkungen: Eine häufig genutzte Variante ist der Vorbehaltsnießbrauch, bei dem der Schenker eine Immobilie zu Lebzeiten auf die Erben überträgt, sich jedoch das Nießbrauchsrecht vorbehält. So können die Erben bereits als Eigentümer eingetragen werden, während der Schenker weiterhin die Nutzungen zieht.
Steuerliche Aspekte und Vorteile des Nießbrauchs
Der Nießbrauch bietet nicht nur rechtliche, sondern auch steuerliche Vorteile. Im Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht wird der Wert des Nießbrauchs vom Wert des übertragenen Vermögens abgezogen, was zu einer Reduzierung der Steuerlast führen kann. Dies ist besonders vorteilhaft bei der Übertragung von Immobilien oder großen Vermögenswerten.
- Erbschaftsteuer: Der Wert des Nießbrauchs mindert die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer. Dies kann erhebliche Steuerersparnisse bedeuten, insbesondere wenn der Nießbrauch über einen langen Zeitraum ausgeübt wird.
- Schenkungssteuer: Auch hier gilt, dass der Wert des Nießbrauchs vom Schenkungswert abgezogen wird. Dies ermöglicht eine frühzeitige Übertragung von Vermögenswerten, ohne dass der Schenker seine Einkünfte aus den Nutzungen verliert.
- Einkommensteuer: Die Einkünfte aus dem Nießbrauch sind einkommensteuerpflichtig. Im Gegenzug können die damit verbundenen Kosten, wie etwa für Instandhaltung und Betriebskosten, steuerlich abgesetzt werden.
Tipp vom Fachanwalt für Erbrecht:
Beim Nießbrauch auch an eine spätere Finanzierung denken
Wenn der Nießbraucher, insbesondere beim Nettonießbrauch, später teure Reparaturen oder Modernisierungen finanzieren muss, kann ein Kredit nötig werden. Dieses Szenario sollte schon bei der Übergabe der Immobilie bedacht werden.
Eine Bank vergibt einen Kredit nur, wenn Sicherheiten gestellt werden. Meistens verlangt die Bank ein Grundpfandrecht, wie eine Grundschuld. Eine Grundschuld kann jedoch nur der Eigentümer bestellen. Dadurch könnte eine problematische Situation entstehen, wenn der Eigentümer die Bestellung verweigert. Dies kann verhindert werden, indem im Übergabevertrag eine Klausel aufgenommen wird, die den neuen Eigentümer verpflichtet, auf Verlangen des Nießbrauchers eine Grundschuld zu bestimmten Bedingungen zu bestellen. Eine solche Regelung kann auch in einem Testament getroffen werden. Fehlt eine solche Regelung, hängt die Bestellung des Grundpfandrechts vom guten Willen des Eigentümers ab.
Absicherung und Beendigung des Nießbrauchs
Um das Nießbrauchsrecht rechtlich abzusichern, muss er in der Regel notariell beurkundet und bei Immobilien im Grundbuch eingetragen werden. Dies schützt den Nießbraucher vor einer unberechtigten Veräußerung oder Belastung der Immobilie durch den Eigentümer.
- Grundbucheintragung: Durch die Eintragung im Grundbuch erhält der Nießbrauch dingliche Wirkung, das heißt, er bleibt auch bei einem Verkauf der Immobilie bestehen.
- Verzicht und Erlöschen: Der Nießbrauch erlischt in der Regel mit dem Tod des Nießbrauchers (§ 1061 BGB). Er kann jedoch auch durch Verzicht des Nießbrauchers oder durch die Zerstörung der Sache enden.
- Vererbbarkeit: Der Nießbrauch ist grundsätzlich unvererblich, es sei denn, es handelt sich um einen Nießbrauch an einem Recht, das selbst vererbt werden kann, wie beispielsweise der Nießbrauch an einem Anteil an einer Erbengemeinschaft.
Berechnung des Wertes des Nießbrauchs
Der Wert eines Nießbrauchs hängt von der Lebenserwartung des Berechtigten und den erzielbaren Mieteinnahmen ab. Die einfachste Berechnungsgrundlage ist die Tabelle des Bundesministeriums der Finanzen zur Bewertung einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung für Stichtage ab 1.1.2024. Sie enthält, getrennt für Männer und Frauen, die statistische Lebenserwartung und den Vervielfältiger für den Kapitalwert, der für die Berechnung des Wertes des Neißbrauchs benötigt wird.
Die Formel zur Berechnung des Wertes des Nießbrauchs lautet:
Wert des Nießbrauchs = 12 x erzielbare Monatsmiete x Kapitalwert
Beispiel 1
Der 50-jährige V besitzt eine vermietete Immobilie im Wert von 500.000 EUR. Die monatliche Kaltmiete beträgt 1.000 EUR. V gewährt seinem 20-jährigen Sohn S einen lebenslangen Nießbrauch an der Immobilie.
Der Wert des Nießbrauchs beträgt 12 x 1.000 EUR x 17,887 = 214.644 EUR.
Beispiel 2
V überträgt seinem Sohn das Eigentum an der Immobilie und behält sich einen lebenslangen Nießbrauch vor.
Hier beträgt der Wert des Nießbrauchs 12 x 1.000 EUR x 14,979 = 179.748 EUR.
Was unterscheidet den Nießbrauch vom Wohnrecht?
Der Nießbrauch und das Wohnrecht sind zwei wichtige Rechtsinstrumente, die häufig bei der Vermögens- und Nachlassplanung eingesetzt werden. Beide Rechte erlauben es, Immobilien oder andere Vermögenswerte zu nutzen, ohne Eigentümer zu sein. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrem Umfang und ihren Rechten.
Der Nießbrauch gewährt einer Person das umfassende Recht, eine Immobilie zu nutzen und die daraus resultierenden Erträge zu beziehen. Das bedeutet, der Nießbraucher kann die Immobilie bewohnen, vermieten und die Mieteinnahmen behalten. Er trägt jedoch auch die laufenden Kosten, wie etwa Instandhaltung und Grundsteuer. Der Nießbrauch endet in der Regel mit dem Tod des Nießbrauchers und ist nicht übertragbar.
Das Wohnrecht hingegen ist enger gefasst. Es erlaubt einer Person, eine Immobilie oder einen Teil davon ausschließlich zu bewohnen. Im Gegensatz zum Nießbrauch kann der Inhaber eines Wohnrechts die Immobilie nicht vermieten oder anderweitig wirtschaftlich nutzen. Die Verantwortung für die laufenden Kosten, wie etwa Betriebskosten, liegt beim Wohnrechtsinhaber, während der Eigentümer meist für größere Instandhaltungsarbeiten verantwortlich ist.
Sowohl das Nießbrauchsrecht als auch das Wohnrecht können im Grundbuch eingetragen und so dinglich gesichert werden.
Ein entscheidender Unterschied liegt in der Nutzungsmöglichkeit: Während der Nießbrauch eine wirtschaftliche Verwertung der Immobilie ermöglicht, beschränkt sich das Wohnrecht auf die persönliche Nutzung. Beide Rechte sind auf die Bedürfnisse der jeweiligen Parteien anpassbar, wobei der Nießbrauch mehr Flexibilität bietet, während das Wohnrecht auf eine engere, persönliche Nutzung abzielt.
Fazit von Fachanwalt für Erbrecht Mathias Nittel
Der Nießbrauch ist ein äußerst flexibles Instrument im Erbrecht, das zahlreiche Vorteile für die Beteiligten bietet. Er ermöglicht es, Vermögenswerte zu nutzen, ohne das Eigentum daran zu übertragen, und bietet gleichzeitig vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, um auf die individuellen Bedürfnisse und familiären Situationen einzugehen.
Besonders in der Vermögensnachfolge und bei der Absicherung von Angehörigen spielt das Nießbrauchsrecht eine zentrale Rolle. Durch kluge vertragliche Vereinbarungen oder testamentarische Verfügungen kann der Nießbrauch so ausgestaltet werden, dass er sowohl rechtlich als auch steuerlich optimal genutzt wird.
Für weiterführende Beratung und individuelle Lösungen im Bereich des Erbrechts und des Nießbrauchs stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Nutzen Sie die Möglichkeiten des Nießbrauchs, um Ihr Vermögen zu sichern und Ihre Angehörigen abzusichern. Kontaktieren Sie mich für ein unverbindliches Erstgespräch.