Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Lebensversicherungen: Ein Fall aus der Praxis

Das Thema Pflichtteil im Erbrecht sorgt immer wieder für Unsicherheiten und Streitigkeiten unter den Erben. Ein besonders spannender Fall wurde kürzlich vom Saarländischen Oberlandesgericht (OLG) entschieden (Beschluss vom 05.08.2022 – 5 W 48/22). Die Frage lautete, ob und in welchem Umfang eine Lebensversicherung, die an eine Ehefrau ausgezahlt wurde, einen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Tochter beeinflussen kann.

Der Fall: Ehefrau als Alleinerbin und Bezugsberechtigte der Lebensversicherung

Im vorliegenden Fall setzte der Erblasser seine zweite Ehefrau in seinem letzten Testament als Alleinerbin ein. Darüber hinaus war sie als Bezugsberechtigte einer Lebensversicherung eingetragen, die im Erbfall zur Auszahlung kommen sollte. Diese Entscheidung führte zu einem erbitterten Streit zwischen der Ehefrau und der Tochter des Erblassers, die aus einer früheren Ehe stammte und enterbt wurde.

Nach dem Tod des Erblassers erhielt die Ehefrau, wie im Testament vorgesehen, den gesamten Nachlass. Dazu gehörte auch eine Risiko-Lebensversicherung, die ihr eine Summe von 50.000 Euro auszahlte. Die enterbte Tochter machte daraufhin ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend und verlangte die Berücksichtigung der Versicherungssumme bei der Berechnung ihres Pflichtteils.

Pflichtteilsanspruch und Nachlassverzeichnis

Um den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, ließ die Ehefrau ein notarielles Nachlassverzeichnis erstellen. Aus diesem Verzeichnis ging hervor, dass das Nachlassvermögen nur 4.907,97 Euro betrug, den allerdings Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 9.048,59 Euro gegenüberstanden. Das Verzeichnis enthielt jedoch auch den Hinweis auf die Lebensversicherung, aus der die Ehefrau 50.000 Euro erhalten hatte.

Die Tochter argumentierte, dass diese 50.000 Euro als pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkung gemäß § 2325 BGB behandelt werden müssten. Schließlich sei die Versicherungssumme ihrer Meinung nach eine Art Schenkung des Erblassers an die Ehefrau, die ihren Pflichtteilsanspruch beeinflussen sollte.

Die Argumentation der Tochter: Versicherungssumme als pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkung

Die Tochter führte aus, dass die Auszahlung der Versicherungssumme an die Ehefrau nicht einfach als eine eigenständige Leistung der Versicherung betrachtet werden könne. Vielmehr handele es sich um eine mittelbare Zuwendung des Erblassers an die Ehefrau, die entsprechend den Regelungen des § 2325 BGB berücksichtigt werden müsse. Die Tochter machte geltend, dass auch die monatlichen Beiträge, die der Erblasser zu Lebzeiten an die Versicherung gezahlt habe, als Schenkung und somit als pflichtteilsergänzungspflichtig anzusehen seien.

Mit dieser Argumentation beantragte die Tochter beim zuständigen Landgericht Prozesskostenhilfe, um ihren Pflichtteilsanspruch mittels Klage geltend machen zu können. Doch das Landgericht wies ihren Antrag zurück und verwies auf die bestehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), die eine solche Berücksichtigung der Lebensversicherung bei der Berechnung des Pflichtteils ausschließt.

Die Entscheidung des Landgerichts: Kein Einfluss der Lebensversicherung auf den Pflichtteil

Das Landgericht lehnte den Antrag der Tochter ab und argumentierte, dass weder die ausgezahlte Versicherungssumme noch die vom Erblasser gezahlten Beiträge in die Berechnung des Pflichtteils einfließen könnten. Entscheidend sei ausschließlich der Rückkaufswert der Lebensversicherung, also der Wert, den die Versicherung zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers gehabt hätte, wenn sie vorzeitig gekündigt worden wäre.

Im vorliegenden Fall hatte die vom Erblasser abgeschlossene Risiko-Lebensversicherung jedoch keinen Rückkaufswert. Dies bedeutete, dass die Versicherung zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers keinen Vermögenswert darstellte, der in den Nachlass hätte einfließen können. Folglich konnte die Tochter auch keine Ansprüche aus der Versicherung im Rahmen ihres Pflichtteils geltend machen.

Die Beschwerde zum Oberlandesgericht: Bestätigung der Entscheidung

Mit der Entscheidung des Landgerichts wollte sich die Tochter nicht zufriedengeben und legte Beschwerde beim Saarländischen Oberlandesgericht ein. Doch auch das OLG teilte die Auffassung des Landgerichts und wies die Beschwerde als unbegründet ab.

Das OLG betonte, dass die Frage, ob und in welchem Umfang eine Lebensversicherung des Erblassers den Pflichtteilsanspruch beeinflusst, in der Rechtsprechung bereits abschließend geklärt sei. Weder die Versicherungssumme noch die gezahlten Beiträge könnten herangezogen werden, um den Pflichtteil zu berechnen. Ausschlaggebend sei allein der Rückkaufswert der Versicherung zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers.

Im konkreten Fall lag dieser Rückkaufswert bei null Euro, was bedeutete, dass die Risiko-Lebensversicherung keinen Einfluss auf den Pflichtteilsanspruch der Tochter hatte. Das OLG bestätigte daher die Entscheidung des Landgerichts und wies die Beschwerde ab.

Fazit von Fachanwalt Mathias Nittel

Die Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts unterstreicht die Bedeutung des Rückkaufswerts einer Lebensversicherung im Erbfall. Erben sollten sich bewusst sein, dass eine Lebensversicherung ohne Rückkaufswert keinen Einfluss auf den Pflichtteil in Form eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs hat. Auch die an die Versicherung gezahlten Beiträge werden nicht als Schenkung betrachtet, die den Pflichtteil erhöhen könnte.

Für enterbte Kinder bedeutet dies, dass sie bei der Geltendmachung ihres Pflichtteils nicht automatisch die Auszahlung einer Lebensversicherung einbeziehen können. Nur wenn die Versicherung zum Todeszeitpunkt einen Rückkaufswert hat, kann dieser in die Berechnung des Pflichtteils einfließen. Ansonsten bleibt die Versicherungssumme außerhalb der Erbmasse und damit auch außerhalb des Pflichtteilsanspruchs.

In Fällen wie diesem ist es für Erben ratsam, frühzeitig rechtlichen Rat durch einen Fachanwalt für Erbrecht einzuholen und die Besonderheiten von Lebensversicherungen im Erbfall genau zu prüfen. Nur so lassen sich unnötige rechtliche Auseinandersetzungen und Enttäuschungen bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen vermeiden.

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