Im Erbrecht kommt es nicht selten vor, dass Erben voreilig eine Erbschaft ausschlagen, weil sie den Nachlass für überschuldet halten. Doch was passiert, wenn sich diese Annahme als falsch herausstellt? Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken (Beschluss vom 14. August 2024 – 8 W 102/23) musste sich kürzlich mit einem solchen Fall auseinandersetzen und dabei eine klare Linie ziehen: Eine Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums über den Wert des Nachlasses ist nicht möglich, wenn der Erbe ausreichende Informationen über den Nachlass hatte.
Der Fall: Eine voreilige Entscheidung
Im Jahr 2021 verstarb eine 106-jährige Frau, ohne ein Testament zu hinterlassen. Als gesetzliche Erben kamen mehrere Enkel- und Urenkelkinder in Frage. Die Verstorbene lebte zuletzt in einem Seniorenheim, und die Heimkosten wurden durch ein Darlehen der Kriegsopferfürsorgestelle gedeckt. Diese finanzielle Unterstützung war notwendig, obwohl die Erblasserin Miteigentümerin eines Hausanwesens war, da ihre Mittel nicht ausreichten.
Eine Enkeltochter, die als Erbin in Betracht kam, entschied sich, die Erbschaft auszuschlagen. Sie ging davon aus, dass der Nachlass aufgrund der Forderungen der Kriegsopferfürsorgestelle überschuldet sei. Diese Forderungen schätzte sie auf 96.000 Euro. Später stellte sich jedoch heraus, dass die tatsächliche Forderung nur 50.000 Euro betrug. Zudem wurde das Haus, an dem die Erblasserin zu einem Drittel beteiligt war, für 190.000 Euro verkauft. Zusätzlich tauchte ein bis dahin unbekanntes Bankkonto mit einem vierstelligen Guthaben auf.
Die Anfechtung: Hoffnung auf eine zweite Chance
Als die Erbin von den wahren Werten des Nachlasses erfuhr, wurde ihr bewusst, dass sie die Erbschaft fälschlicherweise für überschuldet gehalten hatte. Daraufhin erklärte sie gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung ihrer Erbausschlagung wegen Irrtums. Sie argumentierte, dass sie sowohl den Wert der Immobilie als auch die Höhe der Verbindlichkeiten falsch eingeschätzt habe. Zusätzlich war ihr das vorhandene Bankguthaben zum Zeitpunkt der Ausschlagung unbekannt.
Auf dieser Basis beantragte die Erbin einen Erbschein, der sie als Erbin zu 50 % ausweisen sollte. Das Nachlassgericht zeigte sich zunächst geneigt, diesem Antrag stattzugeben. Doch ein anderer gesetzlicher Erbe legte Beschwerde ein und argumentierte, dass die Anfechtung unwirksam sei, da es sich lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handele.
Die Entscheidung des OLG: Kein Weg zurück
Das Oberlandesgericht Zweibrücken musste nun über die Beschwerde entscheiden. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Anfechtung der Erbausschlagung unwirksam sei. Ein zentraler Punkt in der Begründung war die Unterscheidung zwischen einem Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses und einem Irrtum über den Wert einzelner Nachlassgegenstände.
Das OLG stellte klar, dass eine Anfechtung nur dann gerechtfertigt sei, wenn der Erbe sich über die Zusammensetzung des Nachlasses geirrt habe. In diesem Fall hätte der Irrtum die Annahme betrifft, welche Gegenstände und Forderungen überhaupt zum Nachlass gehören. Ein Irrtum über den Wert dieser Gegenstände oder Verbindlichkeiten hingegen berechtigt nicht zur Anfechtung.
Im Ergebnis blieb die Erbausschlagung daher wirksam, und die Erbin war endgültig aus der Erbfolge ausgeschieden.
Fazit von Fachanwalt für Erbrecht Mathias Nittel: Vorsicht bei der Erbausschlagung!
Dieser Fall zeigt deutlich, wie wichtig es ist, vor der Ausschlagung einer Erbschaft umfassende Informationen über den Nachlass einzuholen. Ein Irrtum über den Wert einzelner Nachlassgegenstände reicht nicht aus, um eine voreilige Entscheidung rückgängig zu machen. Wer voreilig handelt, riskiert, dauerhaft aus der Erbfolge ausgeschlossen zu werden.
Die Entscheidung des OLG Zweibrücken schafft Klarheit für Erben und Nachlassgerichte: Eine Erbausschlagung kann nicht durch eine Irrtumsanfechtung rückgängig gemacht werden, wenn der Irrtum lediglich den Wert der Nachlassgegenstände betrifft und nicht die Zusammensetzung des Nachlasses. Es ist daher ratsam, im Zweifel rechtlichen Rat bei einem Fachanwalt für Erbrecht einzuholen, bevor man eine Erbschaft ausschlägt.