In Erbfällen entstehen häufig Streitigkeiten über den genauen Umfang des Nachlasses. Diese Streitigkeiten eskalieren oft, wenn Pflichtteilsberechtigte und Erben unterschiedlicher Auffassung über den Nachlasswert sind. Ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Celle vom 17. März 2022 (Az. 6 U 67/21) beschäftigt sich mit der Frage, ob ein Pflichtteilsberechtigter neben einem notariellen Nachlassverzeichnis auch ein privates Nachlassverzeichnis verlangen kann.
Der Fall: Stufenklage gegen den Erben
In dem Fall ging es um einen Pflichtteilsberechtigten, der seine Ansprüche gegenüber einem Erben gerichtlich durchsetzen wollte. Dazu erhob er eine Stufenklage, die auf die Erteilung von Auskünften über den Nachlass abzielte. Zunächst forderte der Pflichtteilsberechtigte vom Erben ein privates Nachlassverzeichnis, das dieser persönlich erstellen sollte.
Nach einigen Auseinandersetzungen und einer Anpassung der Klage verlangte der Pflichtteilsberechtigte schließlich ein notarielles Nachlassverzeichnis. Der Erbe erkannte diesen Anspruch vor Gericht an, woraufhin das Landgericht ein Teilanerkenntnisurteil erließ, das den Erben verpflichtete, ein von einem Notar erstelltes Nachlassverzeichnis vorzulegen.
Forderung nach zusätzlichem privatem Nachlassverzeichnis
Trotz des Anerkenntnisses des Erben bestand der Pflichtteilsberechtigte darauf, zusätzlich ein privates Nachlassverzeichnis zu erhalten. Er argumentierte, dass ein privates Nachlassverzeichnis ergänzende Informationen bieten könnte, die im notariellen Verzeichnis fehlen könnten.
Das Landgericht wies diesen Antrag jedoch zurück. Es argumentierte, dass dem Pflichtteilsberechtigten kein Rechtsschutzbedürfnis für die Forderung eines privaten Nachlassverzeichnisses zustehe, da der Erbe bereits zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses verurteilt worden war.
Berufung zum Oberlandesgericht
Der Pflichtteilsberechtigte akzeptierte das Urteil des Landgerichts nicht und legte Berufung zum Oberlandesgericht Celle ein. Er hoffte, dass das OLG ihm das Recht zusprechen würde, neben dem notariellen auch ein privates Nachlassverzeichnis zu verlangen.
Das OLG Celle bestätigte jedoch die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung als unbegründet ab. Es erklärte, dass ein privates Nachlassverzeichnis keinen zusätzlichen Nutzen bringe, wenn bereits ein notarielle Verzeichnis existiert. Zudem sei der Erbe bei der Erstellung des notariellen Verzeichnisses verpflichtet, dem Notar vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen.
Notarielles Nachlassverzeichnis als ausreichend angesehen
Das OLG betonte, dass ein notarielle Nachlassverzeichnis grundsätzlich eine höhere Beweiskraft habe als ein privates. Der Notar hat die Aufgabe, den Nachlass detailliert zu erfassen und den Erben zu umfassenden Angaben zu verpflichten. Sollte das notarielle Verzeichnis lückenhaft oder unvollständig sein, hat der Pflichtteilsberechtigte die Möglichkeit, durch Zwangsvollstreckung die notwendigen Informationen zu erzwingen.
Das Gericht stellte klar, dass es keinen erkennbaren Grund gibt, warum der Pflichtteilsberechtigte neben dem notariellen Verzeichnis ein privates Verzeichnis verlangen sollte. Ein privates Verzeichnis bietet keine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Angaben als das notarielle. Vielmehr könnte es sogar dazu führen, dass der Pflichtteilsberechtigte mit widersprüchlichen Informationen konfrontiert wird, was die Durchsetzung seiner Ansprüche unnötig erschwert.
Praktische Bedeutung des Urteils
Das Urteil des OLG Celle hat wichtige Auswirkungen für Erben und Pflichtteilsberechtigte. Es stellt klar, dass ein Pflichtteilsberechtigter, der bereits ein notarielle Nachlassverzeichnis erhalten hat, keinen Anspruch auf ein zusätzliches privates Verzeichnis hat. Damit wird die Rechtssicherheit für Erben gestärkt, die nicht befürchten müssen, mehrfach zur Erstellung von Nachlassverzeichnissen verpflichtet zu werden.
Für Pflichtteilsberechtigte bedeutet das Urteil, dass sie sich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit des notariellen Verzeichnisses verlassen müssen. Sollte dieses Verzeichnis Mängel aufweisen, können sie jedoch rechtliche Schritte einleiten, um die nötigen Informationen zu erhalten. Ein zusätzliches privates Verzeichnis ist nicht erforderlich und bietet keine zusätzliche Sicherheit.
Fazit von Fachanwalt für Erbrecht Mathias Nittel
Das OLG Celle hat mit seinem Urteil deutlich gemacht, dass ein Pflichtteilsberechtigter neben einem notariellen Nachlassverzeichnis kein privates Verzeichnis vom Erben verlangen kann. Ein notarielles Verzeichnis bietet ausreichend Schutz und Gewähr für die Richtigkeit der Nachlassangaben. Pflichtteilsberechtigte sollten sich auf dieses Verzeichnis konzentrieren und bei Bedarf die gerichtlichen Möglichkeiten nutzen, um etwaige Lücken zu schließen. Ein weiteres privates Verzeichnis ist überflüssig und würde nur zu unnötigen Komplikationen führen.